Im „Dorfkrug“ zählt noch die Gemeinschaft
Oestrich. Gastwirt ist für Manfred Hölzel der schönste Beruf der Welt. Solange wie kaum ein anderer Kollege steht er Tag für Tag hinter dem Zapfhahn der Kneipe „Zum Dorfkrug“. 30 Jahre ist es her, dass er die Traditionsgaststätte im Herzen von Oestrich übernahm.
Und ans Aufhören denkt er mit seinen mittlerweile 54 Lebensjahren natürlich noch lange nicht.
„Dafür macht mir die Arbeit viel zu viel Freude“, betont Manfred Hölzel mit Strahlen in den Augen. Was ist denn so schön daran, Kneipier zu sein? Der 54-Jährige zögert keinen Moment mit seiner Antwort: „Wenn ein Gast reinkommt, den ich kenne, freue ich mich, man kommt gleich ins Gespräch oder hat einen flotten Spruch auf den Lippen“. Und wen kennt Manfred Hölzel eigentlich nicht! Fast über jeden im Dorf hat er schon Geschichten gehört. Geschichten, die am Tresen die Runde machen, oder die die Betroffenen dem Wirt ganz persönlich anvertrauen. Manchmal muss ein Gastwirt auch in die Rolle eines Seelsorgers oder Beichtvaters schlüpfen. „Mir hat schon mancher sein Herz ausgeschüttet“, sagt Hölzel.
Diese menschliche Dimension seines Berufes ist es, die den 54-Jährigen so fasziniert. Und weil ihn das Tag für Tag aufs Neue begeistert, fällt es ihm auch gar nicht schwer, jeden Tag von 8 bis 22 Uhr hinterm Tresen zu stehen und auf Urlaub zu verzichten. „Meine Frau und ich - wir haben in all den Jahren gerade mal sieben Tage Urlaub gemacht.“
Manfred Hölzel hängt an seiner Gaststätte und an seinen Oestrichern. „Hier hält die Gemeinschaft noch zusammen“, ist er überzeugt und erinnert an die große Solidarität, als der Dorfkrug 1994 ausbrannte und wiedererrichtet wurde. An manche liebgewordenen Gäste bleibt mittlerweile nur noch die Erinnerung. Einen vermisst der Dorfkrug-Wirt besonders, den vor ein paar Jahren verstorbenen Willi Vieler. „Der kam jeden Morgen und erkundigte sich nach Neuigkeiten“, erinnert sich Hölzel. „Schließlich war er Eigentümer der Gaststätte und da lag es ihm sehr am Herzen, dass alles gut lief.“ Hölzel fand die Gespräche mit Vieler - einem Unternehmer mit Weitblick - immer sehr wohltuend und anregend.
Dabei wurde auch die Idee geboren, zusätzlich zum normalen Kneipenbetrieb jeden Morgen ein Frühstück anzubieten. Das war vor 15 Jahren und es sollte eine Erfolgsgeschichte werden. 26 Sitzplätze hat der (Nichtraucher-)Gesellschaftsraum des Dorfkrugs. Und die sind nicht selten alle belegt. Viele Oestricher Rentner nutzen die Gelegenheit, in geselliger Runde Brötchen, Ei und Kaffee zu sich zu nehmen. Hölzel freut sich, dass sich das Oestricher Frühstückserlebnis rumgesprochen hat. „Es kommen sogar Gäste aus Hohenlimburg oder Siegen.“
Das Frühstücksangebot ist mittlerweile zum ganz wichtigen wirtschaftlichen Standbein für die Gaststätte geworden. Die neue Idee war überlebenswichtig. „Denn das, was vor 30 Jahren das Überleben einer Gaststätte sicherte, gibt es heute kaum noch“, stellt Hölzel nüchtern fest. „Viele Vereine, die sich früher bei uns getroffen haben, die haben jetzt ihre eigenen Vereinsheime. Und die Leute, die ihr Feierabendbierchen in der Gaststätte trinken, werden immer weniger.“
„Obwohl“, der Wirt aus Leidenschaft sieht keinen Grund ins Jammern zu verfallen, „es gibt schon wieder so etwas wie einen neuen Trend. Man sagt immer, dass junge Leute höchstens noch in die Disco gehen, aber nicht in die Kneipe. Das ist falsch“. Zumindest in Oestrich hat Hölzel das Gegenteil beobachtet. Gerade in den letzten Jahren kämen wieder vermehrt junge Leute zwischen 30 und 40 Jahren in die Gaststätte, um so wie ihre Väter oder Großväter Karten zu spielen, zu knobeln oder einfach nur am Stammtisch zu plaudern.
Auch wenn von den fünf Gasthäusern, die es vor 30 Jahren in Oestrich gab, nur noch zwei geblieben sind, Manfred Hölzel glaubt an die Zukunft. Nächsten Freitag will er mit seinen Gästen auf 30 Jahre in „seiner“ Kneipe anstoßen. Nach dem Motto: „Der Dorfkrug wird nicht untergehen“.
Quelle: IKZ, Helmut Rauer